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Bis zu 80 % Kontext: Die Illusion der spezifischen Wirkung

Dominik Neuberth
Wissenschaftliche Referenz: E. Y. Ezzatvar, L. Dueñas, M. Balasch-Bernat, E. Lluch-Girbés, und G. Rossettini, „Which Portion of Physiotherapy Treatments’ Effect Is Not Attributable to the Specific Effects in People With Musculoskeletal Pain? A Meta-Analysis of Randomized Placebo-Controlled Trials,“ J. Orthop. Sports Phys. Ther., Bd. 54, Nr. 6, S. 391–399, 2024. doi: 10.2519/jospt.2024.12126

Stellen wir uns zwei identische Behandlungen vor: gleiche Technik, gleicher Befund, gleiche Dauer. Der einzige Unterschied liegt im Drumherum. In Setting A herrschen Hektik, knappe Kommunikation und Unsicherheit. In Setting B hingegen erlebt der*die Patient:in Zuversicht, Zeit, verständliche Erklärungen und ein stimmiges therapeutisches Ritual.
Die Forschung zeigt: Setting B kann deutlich größere Effekte erzielen – obwohl die „eigentliche“ Behandlung unverändert bleibt. Dieser Unterschied verweist auf Kontext- und Placeboeffekte, also jene Anteile des Behandlungserfolgs, die nicht durch den direkten physiologischen Wirkmechanismus der Therapie erklärbar sind. Aktuelle Forschung zeigt, dass solche unspezifischen Faktoren einen erheblichen Beitrag zur Schmerzlinderung leisten können [1].
Für Praktiker:innen bedeutet dies sowohl eine Herausforderung – wie lassen sich spezifische und unspezifische Wirkkomponenten trennen? – als auch eine Chance: Das gezielte, ethische Einsetzen positiver Kontextfaktoren kann Patientenergebnisse messbar verbessern.
Muskuloskelettale Schmerzen sind häufig und beeinträchtigen Lebensqualität und Arbeitsfähigkeit erheblich. Physiotherapeutische Interventionen wie manuelle Techniken, Übungstherapie oder Taping gelten als wirksam und werden in Leitlinien empfohlen [1]. Die zugrunde liegenden Wirkmechanismen sind jedoch nicht in allen Fällen eindeutig geklärt. Ein Teil der Besserung könnte auf allgemeinen Effekten beruhen, die in jeder Behandlung mitschwingen – etwa auf Erwartungen, der therapeutischen Beziehung oder dem Ritual eines Geräts, selbst wenn es deaktiviert ist.
In diesem Artikel beleuchten wir daher die Rolle von Placebo- und Kontexteffekten in der Physiotherapie. Grundlage ist vor allem die Meta-Analyse von Ezzatvar et al. (2024), die den Anteil des Behandlungserfolges quantifiziert, der nicht durch die spezifische therapeutische Wirkung erklärbar ist [1].

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